Gedanken und Aufsätze
Warum die Physik und die Biologie noch immer getrennt sind und ob nicht die Homöopathie in diesem Niemandsland ihren Platz hat
Eine Frage, mit der sich die Gemüter immer wieder beschäftigen, ist jene, warum ein physikalisch nicht mehr existenter Stoff (zumindest in den Potenzen/Verdünnungen jenseits der Avogadro Konstante) noch immer Wirkungen ausüben kann, die einen Einfluss auf alle Ebenen des menschlichen (und tierischen) Körpers haben. Ich möchte dies mit einer Gegenfrage beantworten: Was ist der Unterschied zwischen Physik und Biologie, und hier ganz besonders der Humanbiologie? Gelten nicht in der Biologie ganz andere Gesetze als in der Physik oder Chemie, und ist nicht von einer grundlegend verschiedenen Wirkungsweise auszugehen?
Einige Beispiele: Das Klonschaf Dolly hatte ein sehr kurzes Leben und wurde von seiner eigenen genetischen "Mutter" überlebt. Außerdem litt es an vielen Beschwerden, die das "Muttertier" nicht kannte. Um diese und andere Ungereimtheiten zu klären, wurde nun eine neue Wissenschaft ins Leben gerufen, die Epigenetik. Diese soll die offenen Fragen der Genetik lösen helfen, die um den Gedanken kreisen, wie können aus ein und derselben genetischen Anlage zwei unterschiedliche Individuen entstehen, die sich auch äußerlich nicht vollständig gleichen.
Oder eine andere Frage, die mich seit Studentenzeiten beschäftigt: Was verursacht eigentlich die exakte Teilung der Morula (= Maulbeere, das erste Stadium eines Embryo, in dem er ein ungeordneter Zellhaufen ist) mittels Apophtose in ein dreiblättriges Keimblatt, aus dem schließlich wie von Geisterhand der komplizierte Embryo entsteht, bei dem innerhalb von drei Wochen schon das Herz zu schlagen beginnt?
Ich denke, bei einer objektiven Beschau dieser Sachverhalte kommt man nicht umhin, einen weiteren Faktor in der Biologie zu postulieren, der weg führt von der rein mechanistischen Anschauung der Physik, Chemie und tatsächlich auch der üblichen Schulmedizin. Ein solcher Faktor aber - sei es eine Matrix, in der Blaupausen-artig die Lebensformen bereits angelegt sind - oder sei es auch etwas "Jenseitiges", wie es die Religionen annehmen, lässt ausreichend Raum für jede Art von immaterieller Einflussnahme auf das Leben. Er wird übrigens seit mehr als 2000 Jahren mit dem Begriff Lebenskraft, "Vis vitalis" von Aristoteles postuliert und wurde von Hahnemann direkt übernommen (s. § 10ff seines Organon der Heilkunst).
Bei Werner Heisenberg finden wir in seinem Vortragsbuch "Physik und Philosophie" (1990) etwas ganz Ähnliches, wenn er schreibt (Seite 90 ff): "Ähnlich wie früher in der Chemie, lernt man aus den einfachsten biologischen Erfahrungen, daß die lebendigen Organismen einen Grad von Stabilität zeigen, den allgemeine komplizierte Strukturen, die aus vielen verschiedenen Molekülen zusammengesetzt sind, sicherlich nicht einfach auf Grund der physikalischen und chemischen Gesetze besitzen könnten. Deshalb muß den physikalischen und chemischen Gesetzmäßigkeiten etwas hinzugefügt werden, bevor man die biologischen Erscheinungen vollständig verstehen kann." Er führt weiter verschiedene Argumente für und wider der vollständigen Erklärbarkeit der biologischen Erscheinungen aus und folgert schließlich: "Eines der Argumente, die häufig zugunsten dieser Theorie (Darwin und die vollständige Erklärbarkeit der Biologie aus der Entwicklungsgeschichte und den bekannten Naturgesetzen von Physik und Chemie heraus, Anmerkung des Autors) ins Feld geführt werden, betont, dass überall dort, wo man die Gesetze von Physik und Chemie habe prüfen können, sie auch in den lebenden Organismen sich immer als richtig herausgestellt hätten. Es scheint keine Stelle zu geben, an der eine besondere Lebenskraft eingreifen könnte, die von den bekannten Kräften der Physik verschieden wäre. Andererseits hat gerade dieses Argument durch die Quantenphysik viel von seinem Gewicht verloren. ... Immer dann, wenn man lebendige Organismen als physikalische und chemische Systeme betrachtet, müssen sie sich auch wie solche verhalten. Die einzige Frage, von der man etwas über die Richtigkeit dieser Auffassung erfahren kann, lautet, ob die physikalischen und chemischen Begriffe eine vollständige Beschreibung der Organismen ermöglichen." Und weiter: "Der Grad an Kompliziertheit in der Biologie ist so entmutigend, daß man sich im Augenblick noch nicht vorstellen kann, wie irgendein geschlossenes System gebildet werden könnte, dessen Begriffe so scharf definiert sind, daß eine mathematische Darstellung möglich würde." Ohne einen Seitenblick auf die universitäre Medizin, jedoch in meinen Augen durchaus darauf anwendbar, schreibt er auf der gleichen Seite: "Wir würden natürlich nicht daran zweifeln, daß das Gehirn sich wie ein physikalisch-chemischer Mechanismus verhält, wenn man es als solches behandelt."
Samuel Hahnemann schreibt knapp 200 Jahre zuvor in seinem Artikel "Ueber den Werth der speculativen Arzneysysteme, besonders im Gegenhalt der mit ihnen gepaarten, gewöhnlichen Praxis" (1808, zitiert nach Joseph M. Schmidt "Die philosophischen Vorstellungen Samuel Hahnemanns bei der Begründung der Homöopathie", S. 113 ff): "läßt sich die Art, wie die verschiedenen Bestandtheile des lebenden menschlichen Körpers zusammenhängen, ... wie aus ihnen solche lebenden Werkzeuge (Organe) entstehen, als zur Führung des Lebens gehören, und wie aus den nöthigen Organen ein geschlossenens Ganzes, ein lebendes, gesundes Individuum gebildet und erhalten werde", - "weder nach den Grundsätzen der Mechanik, noch der Physik, noch der Chemie" o.ä. "beurtheilen oder erklären". ... "Wenn auch alle Bestandtheile des menschlichen Körpers in der übrigen Natur anzutreffen sind, so wirken sie doch sämmtlich in dieser organischen Verbindung ... auf eine so abweichende eigne Weise (für die man bloß den Namen Vitalität hat), daß diese besondere Art von Verhalten der Theile unter sich und gegen die Außenwelt ... nach keinem anderen Maßstabe, als nach sich selbst erkärt und beurtheilt werden kann".
An anderer Stelle, nämlich im Vorwort zum 4. Band der "Chronischen Krankheiten", schreibt Hahnemann ganz analog: "Den Vorgang des Lebens im Innern des Menschen können wir nicht mit unseren Sinnen erreichen, nicht wesentlich erkennen, und es ist uns nur zuweilen vergönnt, aus dem Geschehenden muthmasslich zurück auf die Art zu schließen ...".
Wenn man die universellen geistig-emotionalen und gleichzeitig körperlichen Wirkungen der homöopathischen Medikamente auf den Menschen in hundertfacher Wiederholung bei Patienten gesehen hat, so bleibt nur die Frage, ob man das so möchte, das Gehirn bzw. den ganzen menschlichen Körper als einen (groben, da den derzeitig bekannten Gesetzen ausschließlich zugänglichen) physikalisch-chemischen Mechanismus behandeln, oder ob man nicht doch lieber auf die so exakte und elegante Feinregulierung des Gesamtgebildes Mensch mittels homöopathischer Potenzen zurückgreifen möchte. Auch Heisenberg scheint sich der Schlussfolgerung Hahnemanns bezüglich einer weiteren anwesenden Kraft, die er als Vitalität und später als "Dynamis" oder "Lebenskraft" bezeichnet, nicht ganz entziehen zu können, auch wenn er sich noch windet und die physikalischen und chemischen Eigenschaften der belebten Materie hervorhebt, "wenn man es als solchen behandelt", womit er offensichtlich die einfache Tatsache meint, dass auch organische Materie chemisch und physikalisch beeinflusst (gekocht, gebeizt, verätzt, elektrisch gereizt) werden kann.
Heilung in Allopathie und Homöopathie
In einem Vortrag von Univ. Prof. Norbert W. Paul, dem neuen Leiter des Instituts für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin in Mainz, gehalten am 27.10.2004 anlässlich einer Sitzung der Medizinischen Gesellschaft Mainz, wurde eine Folie gezeigt, aus der sich das gesamte Dilemma der Homöopathie speziell im universitären Medizinwesen der heutigen Zeit ableiten lässt:
Dargestellt waren verschiedene Optionen der Herangehensweise an eine Therapie, das "Humanexperiment", der "Klinische Versuch", der (individuelle) "Heilversuch" und die "tägliche Praxis". Aufgelistet wurden dann die daraus abzuleitenden Profite im wissenschaftlichen, medizinischen und sozialen Sektor, bzw. deren Bewertung mittels unterschiedlich vieler Pluszeichen.
Unter dem vorgegebenen Heilrahmen des "Heilversuches" zeigt sich ein starker Benefit für den Patienten in sozialer Hinsicht, was dem entspricht, was ein Patient von einem Arzt erwartet, nämlich Genesung oder zumindest Besserung. Auf der anderen Seite ist hier der Profit auf wissenschaftlicher und demgemäß auch auf medizinischer Seite gering, eine weiter zu verallgemeinernde Schlussfolgerung kann aus einem solchen individuellen Verlauf nicht geschlossen werden. Allerdings können im System der Homöopathie durchaus andere von geheilten Fallberichten profitieren, nicht aber in einer generellen Hinsicht oder in Hinsicht auf ein neues wissenschaftliches Therapieverfahren gegen die Beschwerde xy, so dass eine Anwendung des Schaubildes auf das Lehrgebäude der Homöopathischen Medizin durchaus ein Plus unter der Überschrift "Medizinischer Benefit" verdient hätte, was nicht der Fall war. Jeder Patient muss in der homöopathischen Therapie eben stark individualisiert werden, nur durch eine genaue Übereinstimmung zwischen Symptomen aus einer Arzneimittelprüfung und den aktuellen Symptomen des Patienten wird sich unter weiterer Berücksichtigung von möglichen Verläufen bei verschiedenen Pathologien schließlich eine Heilung herbeiführen lassen. Der allseits angestrebte "wissenschaftliche Durchbruch" im Sinne eines Mittels oder einer Therapie, die nun auf breiter Basis gegen eine Erkrankung einsetzbar ist, kann hierdurch per se nicht erreicht werden, weshalb das Fehlen eines wissenschaftlichen Benefit sicher auch hier gerechtfertigt erscheint. Das allgemeine Interesse von Ärzten an der homöopathischen Therapie ist vielleicht auch deshalb seit 200 Jahren beschränkt und hält sich konstant (in Deutschland, aber auch in anderen Ländern nicht wesentlich verschieden) bei etwa 1 bis 2 Prozent aller tätigen Mediziner, die sie aktiv und vornehmlich praktizieren.
Auf der anderen Seite, und auch das zeigt das Bild sehr schön, ist der praktische Nutzen des Patienten, hier als "sozialer Benefit" tituliert, im Rahmen eines solchen Heilversuches am größten. Vielleicht liegt es auch daran, dass die Homöopathie von Anfang an eine breite Basis in großen Laienvereinen besaß und dort über eine größere Anhängerschaft verfügte als unter den Medizinern. Hier darf man ein ganz pragmatisch auf Heilung oder zumindest auf Besserung ausgerichtetes Streben von vorne herein annehmen, eine Absicht, der die Homöopathie recht unproblematisch und ohne weitschweifigen theoretischen Überbau normalerweise schnell nachkommt.
Aus den Szenarien "klinischer Versuch" und "Humanexperiment" lassen sich große wissenschaftliche Benefite ziehen (und damit natürlich auch wirtschaftliche). Für den einzelnen Patienten aber, wieder der "soziale Profit", ist dies, auch in dem Schaubild, wesentlich geringer eingestuft worden. Wird hier nicht auch eine gewisse inhumane Wertschätzung bloßgelegt?
Hahnemann und der Kaffee
oder "Wie kam es zum Chinarindenversuch und damit zum Beginn der Homöopathie?"
Hat Samuel Hahnemann geahnt, dass die Einnahme von Chinarinde Wechselfieber-artige Beschwerden hervorruft, oder hat er lediglich von der magenstärkenden Wirkung bei Cullen* gelesen und wollte dies testen? Tatsächlich fragt er sogar schriftlich, was Cullen damit gemeint haben könne, dass die Chinarinde "mittels ihrer auf den Magen ausgeübten stärkenden Kraft " auf das Wechselfieber "wirke ..." .
Hahnemann wehrte sich schon bei der Lektüre gegen diese Theorie und schreibt: "Man kann durch Vereinigung der stärksten bitteren und der stärksten adstringierenden Substanzen eine Zusammensetzung bekommen, welche in kleinerer Gabe weit mehr von beiden Eigenschaften besitzt, als die Rinde hat, und doch wird in Ewigkeit kein Fieberspezifikum aus einer solchen Zusammensetzung". Und versuchte es dann einfach an sich selbst. Aber weshalb? Hatte Hahnemann einen schwachen Magen und wollte die magenstärkende Wirkung versuchen? Wollte er gar nicht das altbekannte und seit Hippokrates immer wieder in individueller Ausprägung angewandte "Similia similibus" austesten, sondern eher herausfinden, ob die Chinarinde nicht etwas für seinen Magen tun könnte? Und entdeckte er dabei die Spur zum größten und universalsten Heilgesetz aller Zeiten, sozusagen en passant?
Zu dieser Vorstellung eines schwachen Magens passt auch sein dauerndes Wettern gegen den Kaffee, über dessen krankmachende Wirkungen er in übertriebener Weise anno 1803 eine kleine Schrift veröffentlicht hatte, und über die schon Tischner in oben bereits zitiertem Werk auf S. 47 schreibt: "Vielleicht hat er ihn selbst nicht recht vertragen und deshalb so schwarz gesehen, ...". Auch im Organon ist es der Kaffee, dessen schädliche Wirkung als erste genannt wird, und der bei chronisch Kranken das wichtigste Heilungshindernis darstellt (Fußnote §260).
War es also Hahnemanns schwacher Magen (gemeinsam natürlich mit seinem lebhaften und wissbegierigen Geist), der zur Entdeckung des homöopathischen Prinzips führte?
Tatsächlich konnte er die Teile des sich nach seinem Selbstversuch ergebenden Puzzles dann aber rasch zusammensetzen, kannte er doch die subjektiven Symptome der Malaria gut, da er selbst an einer solchen in seiner Zeit als Bibliothekar des Statthalters Baron Brukenthal in Siebenbürgen gelitten hatte. Tatsächlich war die heute vor allem als Tropenkrankheit bekannte Malaria damals in weiten Teilen Europas noch endemisch und die Chinarinde ein wichtiges und wirtschaftlich bedeutendes Exportprodukt Südamerikas zur Therapie eben jener. In seinem Selbstversuch erlebte Hahnemann also die damals in Siebenbürgen bereits durchlittenen Beschwerden neu und konnte auch ohne die typischen Fieberschauer, die zur eigentlichen Diagnose sicher notwendig sind, sagen, dass sich die Malaria sehr ähnlich subjektiv anfühlte wie jetzt die Einnahme der Chinarinde in seinem gesunden Körper. Der Rest ist Geschichte, kannte sein belesener Geist doch die bisher eher schwammige Theorie des "Similia similibus curantur", die seit Hippokrates immer wieder formuliert worden war, und von der er nun ein beeindruckendes Beispiel am eigenen Leib erfahren hatte. Gleichzeitig war eine der Säulen der Homöopathie, nämlich der Arzneiversuch am Gesunden, damit fest begründet, nachdem Von Störck ihn fast eine Generation zuvor bereits angewandt und vorgeschlagen hatte.