Einleitung
Calcium sulphuricum, allgemein unter dem Namen Gips (chem. Ca[SO4]·2H2O) bekannt (3), findet im täglichen Leben eine vielfältige Verwendung, sei es um Decken ornamental zu verzieren, um Knochenbrüche zu fixieren, als weißes Farbpigment (3) oder um jede Art von dreidimensionalem Modell zu simulieren. Es begleitet die Menschheitsgeschichte seit ca. 9000 Jahren (1).
Beim Erhitzen geht das Kristallwasser verloren und es entsteht zuerst ein Halbhydrat (gebrannter Gips genannt) mit der chemischen Formel CaSO4 • ½ H2O, bei weiterem Wasserverlust entsteht schließlich über den löslichen Anhydrit III der unlösliche Anhydrit II (CaSO4), letztere werden mineralogisch schlicht Anhydrit genannt (1).
Das Mittel wurde von W. H. Schüssler in der ihm typischen Art eine 'abgespeckte' Homöopathie zu propagieren, 1873 geprüft, nachdem es 1847 schon von C. Hering geprüft worden war, ohne jedoch Eingang in seine 'kleine' Materia Medica zu finden (2, 4). In seiner großen 10-bändigen Materia Medica, den Guiding Symptoms, finden wir interessante Symptome, die über das bekannte Bild hinausgehen, leider aber auch keine griffige Grundlage für eine heutige Verordnung bilden (s. klassiche Literatur) (5). Er schreibt hier unter der Überschrift Gemüt:
'Verlust des Bewußtseins.
Plötzlicher Verlust des Gedächtnisses und der Kraft zu Denken nach dem Mittagessen.
Manchmal möchte er spazieren, etwas besuchen. Sobald er aber einen Fuß vor die Tür setzt, ist dieses Verlangen verflogen.
Erwachte schreiend. Teilweise große Niedergeschlagenheit.
Lebendigkeit und gute Laune wechseln zu Kummer und Melancholie am Nachmittag und Abend.`
- Gemüt; FRÖHLICHKEIT, Heiterkeit, Ausgelassenheit, Lustigkeit; allgemein; morgens; traurig am Abend, und (3): calc-s, graph, phys
Speziell aus dem dritten Gemütssymptom können wir schon ablesen, dass es sich um eine Person handeln muss, die zwar Antrieb und Ideen hat, dann jedoch rasch von Mitlosigkeit übermannt wird und dann doch nichts unternimmt (6).
(1) https://de.wikipedia.org/wiki/Gips
(2) Mathur's Systematic Materia Medica, aus MacRepertory Pro für Windows 6.1.7
(4) Hering, C., Condensed Materia Medica, 3. Auflage, F. E. Boericke, Philadelphia 1884
(5) The Guiding Symptoms of our Materia Medica, Hering, C., by Médi-T, http://www.homeoint.org/hering/c/calc-s.htm; Übersetzung des Autors
(6) Vijayakar, P., Mumbai, eigene Aufzeichnungen des Autors
Klassische Literatur
Bei Lippe (1) finden wir v.a. seine Wirkungen auf Eiterungen, Abszesse und Drüsenschwellungen erwähnt. Grob geschätzt stehen > 60%, der von ihm erwähnten Symptome mit Eiterungen, gelben Absonderungen, Akne, Fisteln oder Abszessen im Zusammenhang. Nach heutigen Maßstäben ist hier leider wenig Substantielles bzw. für eine erfolgreiche Verordnung Hilfreiches aus dem Gemütsbereich zu finden. Kent (2) spricht noch davon, dass das Mittel generell verfronen sei, jedoch ein Abdecken in speziellen Situationen helfe. Es käme zu einer allgemeinen Verschlechterung durch warme Betten und warme Räume. Auch der Hass auf Menschen, die anderer Meinung sind (nicht mit ihm übereinstimmen) wird hier schon erwähnt. Kent betont weiterhin die Reizbarkeit bei einer gleichzeitigen geistigen wie körperlichen Trägheit und Indolenz. Kent geht auf insgesamt fast 8 Seiten weiterhin auf einzelne, damals bekannte Symptome von Calc-s ein. Mathur (3) als eine neuere Materia Medica spricht dann aber von einem warmblütigen Mittel, und das, obwohl er sich größtenteils auf Kent bezieht.
Nicht unerwähnt lassen möchte ich hier auch die Beschreibung von Vithoulkas (4) und Sankaran (5), die beide das Element des 'geschätzt werden möchtens' und die sich daraus ergebende Eifersucht, hier v.a. bezogen auf Geschwister oder andere Familienmitglieder, betonen. Dabei finden wir das Symptom bereits bei H. C. Allen an erster Stelle der Gemütssymptome: 'Die Paztienten weisen Anteile beider Elemente, Calcium und Sulphur auf. Patienten, die leidenschaftlich jammern und klagen, weil sie nicht geschätzt werden.`.
- Gemüt; LAMENTIEREN, Beklagen, Jammern; geschätzt wird, weil er nicht (2): calc-s, querc-r
(1) Lippe, A., Grundzüge der charakteristischen Symptome der Homöopathischen Materia Medica, 3. Auflage 1996, Burgdorf Verlag, Göttingen
(2) Kent, J. T., Lectures on Homoeopathic Materia Medica, 3rd Edition, Boericke & Tafel, Philadelphia 1923, S. 320 ff
(3) Mathur's Systematic Materia Medica, First Edition, Jain Publishing, Neu Delhi, 1972
(4) Vithoulkas, G., Eigene Aufzeichnungen des 4 Jahres Kurses von 1990 bis'94
(5) Sankaran, R., The Soul of the Remedies, Homoeopathic Medical Publishers, Bombay 1997
Eigene Erfahrungen
Zur Anwendung kam das Medikament bei einer jungen Patientin, deren Mutter fast täglich sportlich aktiv war, was die 4-Jährige definitiv nicht weiter zu körperlicher Betätigung animierte. Im Gegenteil nach wenigen Schritten war sie schon erschöpft und wollte nicht weiter machen. In so einem Fall fällt es leicht, ein Calcium-Mittel ins Auge zu fassen, da das Kind von der Mutter ausreichend Anregung in dieser Richtung erhielt, und diese Neigung, sich zu Bewegen, einfach nicht teilte. Auffallend waren weiterhin ihre dünnen, weichen Haare und die fast (kreide)-weiße Haut, die wesentlich heller als die ihrer Mutter war. Sie war warmblütig und hatte immer wieder einen Alptraum, dass etwas über sie kröche. Wenn man einmal die Idee von einem Mittel hat, kann ein solches Symptom in meiner Erfahrung durchaus heran gezogen werden, denn Calc-s hat eine Beziehung zu Reptilien, die sich bekannterweise kriechend bewegen.
- Gemüt; FURCHT; allgemein; Tieren, vor; Reptilien (1): calc-s
Lt. Vijayakar ist es das einzige mutige Calcium-Mittel (s. Repertorium), das dann aber dennoch nicht dauerhaft für eine Sache kämpfen kann. Auch fehlen ihm die Trägheit und Gleichgültigkeit oder der Zorn von Sulphur (1), sondern es reagiert dann eben über die Bildung von Eiterungen, Fisteln usw.. Es ist ja meist von den 'Objekten seines Zorns abhängig, nämich seiner näheren Umgebung, was insbesondere die Calcium-Komponente sehr stark empfindet . Auch genannte Patientin ließ sich trotz gewissen Ansätzen für Agression von Gleichaltrigen nicht provozieren, sondern drehte sich um und ging.
Bekannt ist auch die Eifersucht, von Calc-s, die sich oft auf Geschwister bezieht, dass jemand anders in der Familie mehr Aufmerksamkeit erhält, z.B.. Darüber schreibt schon Allen in seiner Arzneimittellehre:
'Zweites oder drittes Kind, das noch nicht gelernt hat, sich durchzukämpfen. Kann nicht unabhängig sein, aber die Eltern schätzen die anderen Kinder mehr als ihn. Fühlt sich benachteiligt (2).
(1) Sankaran, R., The Soul of the Remedies, Homoeopathic Medical Publishers, Bombay 1997
(2) Allen, H. C., Leitsymptome homöopathischer Arzneimittel, 4. Auflage, Urban und Fischer, München 2005
Repertorium
- Gemüt; ABNEIGUNG gegen; Personen; bestimmte; die nicht mit ihm übereinstimmen (1): calc-s
- Gemüt; HASS; Personen, auf; übereinstimmen, die nicht mit einem (1): calc-s
- Gemüt; KOKETT; übermäßig (13): ambr, bell, calc-f, calc-s, lac-leo, lach, lyc, nux-v, phos, plat, puls, sulph, verat
- Gemüt; MUTIG, beherzt, tapfer, unerschrocken (32): acon, agar, alco, alum, ant-t, berb, bov, calad, calc-s, dros, falco-p, ferr-p, gins, ign, lac-h, m-arct, mand, merc, mez, nat-c, op, phos, puls, squil, staph, sulph, tab, tarax, ter, tub, valer, verat
- Gemüt; LAMENTIEREN, Beklagen, Jammern; geschätzt wird, weil er nicht (2): calc-s, querc-r
- Gemüt; FURCHT; allgemein; Tieren, vor; Reptilien (1): calc-s
- Gemüt; FURCHT; allgemein; Verletzung, vor (22): ... calad, calc-s, ... Stram, stry, valer
- Gemüt; EIFERSUCHT; allgemein (71): ... , apis, ... calc, calc-p, calc-s, camph, carc, caust, cench, ... HYOS, ... LACH, lil-t, lyc, mag-c, mag-s, med, ... nat-m, nat-s, nux-m, NUX-V, ... Plat, puls, raph, sac-alb, sep, staph, stram, sul-ac, sulph, teucr, thuj, verat, vip
- Gemüt; EIFERSUCHT; allgemein; Kinder; zwischen (6): ars, calc-s, carc, nat-m, nux-v, sep
- Gemüt; FRÖHLICHKEIT, Heiterkeit, Ausgelassenheit, Lustigkeit; allgemein; morgens; traurig am Abend, und (3): calc-s, graph, phys
- Gemüt; WAHNIDEE, Einbildung; Unglück, untröstlich über erlittenes (3): alum, calc-s, verat